Der Status Quo

Seit geraumer Zeit will ich etwas über das Thema „Status“ schreiben, und eiere darum herum, weil ich nicht die richtigen Worte finde. Oder zu viele davon. Die fünf geschriebenen Blogbeitrag Entwürfe die in meinem Dashboard herumlungern sprechen traurige Bände über meinen hohen Anspruch an mich selbst. Da ich aber nun seit letztem Wochenende immer wieder „nieder mit dem Perfektionismus“ rufe wird es Zeit…

Angefangen hat es, als ich vor etwa zwei Monaten einen Freund von mir besuchte. Wir saßen auf seinem Balkon, tranken Bier aus der Flasche, hingen rum und plauderten angeregt miteinander, über dies und das, und unsere Leben, unsere Ziele, unsere Vergangenheit. Ich fühlte mich super wohl und es war entspannt und nah und ein schöner Abend. Er begann von einem Teil seines Bekanntenkreises zu erzählen und wurde immer animierter, was für tolle Menschen das waren, wie erfolgreich in ihren Berufen, wie kulturell interessiert, wie begabt (mehrstimmige Acapella Einlagen auf Geburtstagen) und auch nett sie doch alle waren. Gut gekleidete bildungsnahe Top-Verdiener. „Die haben das aber auch verdient, das sind richtig gute Menschen!“sagte er, und danach kehrte Stille ein. Ich sah zu, wie er das Loch in seinen Filzpuschen größer friemelte und glättete meinen fadenscheinigen Eineurofuffzigvomflohmarkt-Rock. Mein Selbstwertgefühl war auf einmal kurz über Normalnull und ich fragte mich ernsthaft, ob ich einfach kein guter Mensch sei und es nicht verdient hätte. Die Stimmung war in Sekundenschnelle von entspannt zu unangenehm gewechselt und ich brach kurz darauf mit hastig gemurmelten Entschuldigungen auf. Ich fühlte mich noch etwa eine Stunde lang wie ein totaler Versager, bevor ich mich am Schlaffitchen aus dem Moloch des Selbstmitleids wieder hinausgezogen hatte. Danach hab ich mich einige Wochen fürchterlich über die Bewertungsskala meines Freundes aufgeregt und was für einen enormen Wert er doch auf Status legen würde. Merke: Wenn Dich etwas an einem anderen Menschen ganz fürchterlich kratzt hat es ganz sicher auch etwas mit dir zu tun!

Von da ab war ich sensibilisiert für das Thema. Und es war überall: Meine Söhne, die ausflippten über die von Onkel geerbten Markenklamotten und seitdem in Abercrombie & Fitch und Hugo Boss rumliefen, und jedem das Label unter die Nase reiben mussten, und ich, die ich das ganze auch noch unheimlich witzig fand und mich an meine Jugend und mein erstes Paar Levis 501 erinnerte, die ich meiner Mutter nach einem halben Jahr Gebettel aus den Rippen gelaiert hatte. Ich begegnete vielen Menschen mit tollen akademischen Titeln, die diese schwangen wie Flaggen, in meinem Bekanntenkreis verreiste so manch einer an exotische und für mich derzeit unerschwingliche Orte, während ich mir überlegte, wie ich die nächste Rechnung zahlen sollte und ich wollte doch auch wieder verreisen, Dinge sehen. Ich ließ mich etwas davon aufsaugen. Ach was sage ich etwas. Eigentlich ziemlich sogar, und fühlte mich immer wieder mies. Ein unangenehm nagendes Dauermantra von „ich will das auch“ spulte irgendwo in meinem Unterbewusstsein ab. Ich konnte mich selber nicht mehr leiden und zweifelte mein Dasein und meine eingeschlagene Karriere an.

Ich erinnerte mich an meinen Kampf ein Jahr zuvor, als ich mich entschloss eine Umschulung zu machen um endlich einmal in meinem Leben etwas zu ende zu machen und mir ein gerahmtes Zertifikat an meine Wand zu hängen. Ich hatte fürchterlich mit mir gekämpft, das schlimmste war damals für mich der soziale Abstieg gewesen, aber es führte einfach kein Weg daran vorbei, dass ich irgendetwas einfach machen musste um mich vom Fleck zu bewegen. In vielen guten und konstruktiven und auch tränenreichen Coaching Sitzungen baute ich mein Unbehagen ab und begann mich auf einen neuen Weg zu freuen und die ganzen Vorteile darin zu sehen, etwas zu lernen und mir am Ende einen Orden dafür an die Brust zu heften. Ich hörte auf mich als Versager zu fühlen und ging beschwingt meinen Weg und freute mich auf neue Perspektiven. Zur Zeit mache ich ein Praktikum im Büro des Handwerkbetriebes eines Freundes als Teil meiner Ausbildung. Ich fühle mich dort wo ich bin ausgesprochen wohl, die Menschen um mich herum sind mir allesamt sehr sympatisch, ich kann mich mit der Firma identifizieren und ihrer Philosophie, ich gehe gerne zur Arbeit, ich kann meinen Job super bewältigen und habe einen riesigen Haufen Freiheiten und darf eigenverantwortlich handeln. Mir gefällt der Umgangston, Ich mag meine Arbeit, auch wenn sie nicht glamourös ist, in vielerlei Hinsicht fühle ich mich angekommen.

Vor ein paar Tagen war ein sehr netter Kunde bei uns im Laden. Nett und ziemlich reich. Wir kamen ins Gespräch und er fragte mich etwas ungläubig „und sie arbeiten hier?“ Hui. Das piekste. Und als ich antwortete ich hätte umgesattelt und käme eigentlich aus der Medienbranche wurde das Pieksen irgendwie schlimmer und nicht besser. Auf einmal begriff ich, dass ich genauso eine Statusgeile Nudel war, wie all die anderen, über die ich mich in den letzten Wochen so fürchterlich aufgeregt hatte. Vielleicht sogar noch schlimmer, ich schien es ja wirklich nötig zu haben zu beweisen dass ich zumindest mal was gewesen war! Es war ein Teufelskreis, je mehr ich über Status nachdachte, mich mit den Leuten aus den glamourösen Jobs verglich, umso mieser fühlte ich mich, und je mieser ich mich fühlte, umso lauter schwang ich meinen Status herum, und sei es auch nur der Status der Verganenheit: Selbstständig, ja studiert hab ich auch mal, wenngleich nicht zu ende, cooler Job, mit einem Haufen Promis gearbeitet.

Aber mal ehrlich: Na und? Wie ging es mir denn damals, als ich noch um Mitternacht aus meinem Privatleben raus gerissen wurde und Flüge für irgendwelche Promis umbuchen durfte, als ich es eigentlich nie geschafft habe das Büro zu einer normalen Zeit zu verlassen, und mich immer im Spagat zwischen der Familie und meiner Arbeit befand? Es ging mir nicht besser als ich zu den coolen hippen Leuten dazu zu gehören versucht habe, ich hab mich auch da nicht aufgewerteter gefühlt, wenn ich ganz ehrlich bin.

In mir wohnt ein kleiner Narzist, der immer dann den Kopf hebt und trompetet, wenn ich nicht gut auf mich geachtet habe. Immer dann verschieben sich meine Werte und es werden Dinge wichtig, die mir eigentlich nicht mehr wichtig sein wollen, ich hatte doch bewusst entschieden, dass mir das nicht mehr wichtig ist, ich hatte bewusst entschieden lockerer und freundlicher mit mir zu sein. Trotzdem ist es immer wieder eine Lektion in Demut, und es holt mich manchmal ein und ich stehe vor den bunten Auslagen voller Statussymbole und presse mir die Nase an der Fensterscheibe platt.

Was ich damit sagen will ist, ich hab vergessen tief ein und aus und hin und her zu atmen und draußen spazieren zu gehen und dem Herbst zuzuschauen, wie er sich Baum um Baum holt. Es regnet zwar gerade, aber das ist jetzt egal, ich geh jetzt da raus in den Regen und tu was für mich, und atme ein und atme aus und atme ein und atme aus…

2 Gedanken zu “Der Status Quo

  1. Das hast Du seeehr schön g(b)eschrieben, liebe Julia. Mir geht es manchmal ähnlich. Und…. steckt nicht in jedem von uns mal mehr mal und mal weniger auch ein kleiner Narzist? Liebe Grüße, Anja

    • Danke liebe Anja,
      es ist schon erstaunlich oder? Der kleine innere Narzist gehört jetzt nicht zu denen, die ich einlade sich doch auf einen Kaffee zu mir zu setzen und ein wenig zu plaudern;-) Der ist mir so unsympatisch, aber irgendwie ist er da!
      Ganz liebe Grüße zurück,
      Julia

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