Biochemie

Der Tornado sitzt erstaunlicherweise mit am Frühstückstisch. Er hat es geschafft seine vom Wachstum geschwächten Knochen aus dem Bett zu schleifen, denn ein anderes Grundbedürfnis namens Hunger hat über das Schlafbedürfnis gesiegt. Er heisst ab jetzt der Tornado, denn er möchte in meinem Blog nicht mehr namentlich erwähnt werden, sondern nur noch mit einem coolen Pseudonym. Alle liebevollen Spitznamenvorschläge hat er abgelehnt, weil sie zu albern waren. Und das von dem Jungen, der über sein Periodensystem in der Chemiemappe „Hihihi, Periode“ schreibt! Er wollte etwas cooles, so etwas wie einen Porno- oder Superheldennamen. Also der Tornado. Aktuell erklärt er mir durch ein Brötchen mit Nutella hindurch die Liebe.

„Das ist alles Schnickschnack, das mit der Liebe.“ sagt er. „Das ist nichts anderes als eine biochemische Reaktion. Man sucht sich einen Partner, der den eigenen Fortpflanzungsmerkmalen am ehesten entspricht, das läuft alles feinstofflich ab, weisst du, und dann wirbt man, und dann wird begattet. Ist alles ganz einfach!“

Etwas fassungslos schaue ich mir das Wesen an, das vor kurzem noch mein entzückendes Kind gewesen war. Er klingt wie die Männer in meinem Leben, die meinen „romantisch“ hätte etwas mit italienischen Möbeln zu tun.

„Aber was ist mit Gefühlen?“ sage ich. „Und mit dem Herzen?“

„Das Herz“ sagt der Tornado eiskalt, „ist ein Muskel, der Blut pumpt. Der Rest ist Biochemie!“

„Aber ich liebe Dich“ sage ich, „bedeutet das denn nichts?“ Diese Art von Unterhaltung führt man nicht nur nicht sondern schon gar nicht mit seinem Sohn, denke ich und fasse mir innerlich an den Kopf.

„Das ist auch notwendig“ sagt das Rotzbalg. „Und auch Biochemie. Es dient der Sicherung des Fortbestandes der eigenen Linie. Wenn Du mich nicht lieben würdest hättest Du mich längst rausgeworfen!“

„Und schon hast du mich überzeugt“ sage ich. Wer kann sich diesem Argument schon widersetzen…

Aber der Tornado hat auch seine weichen Seiten. Später schleicht er sich zu mir ins Zimmer und rekelt sich in seinen dreckigen Jeans auf meinem frisch bezogenen Bett. „Mama, warum bist du traurig? fragt er, und ich erklär ihm, wie ich gerade eine schwere Entscheidung getroffen habe und jetzt etwas bange bin ob der Konsequenzen. „Aber die Entscheidung war dennoch richtig“ sage ich, „ich bin zu dünnhäutig um auf Dauer Situationen aufrecht zu erhalten, die sich nicht richtig anfühlen. Es gibt Menschen die können das, und sortieren diese Dinge weg, aber mich macht das fertig. Ich bin dafür zu sensibel.“

„Ja, das kenn ich gut“ sagt der Tornado. „Ich hab auch so dünne Haut.“

Und „Das ist dann so ein andauernd anhaltendes unangenehmes Gefühl. Man kann nicht raus aus seiner Haut und benimmt sich ganz komisch. Wie heisst das nochmal mit den drei Buchstaben?“

„HSP?“ frage ich und wundere mich.

„Nee, das andere… Du und ich, wir haben Dauer PMS!“

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